Bohrt man in einen unbelasteten Gebirgskörper ein Bohrloch und belastet den Gebirgs­körper anschließend, so ändert das Bohrloch seine Form. Ursprünglich kreisrund wird es einen kleineren und darüber hinaus bei unterschiedlichen Seitendrücken einen ellip­tischen Querschnitt annehmen.

Die Durchmesseränderung ist dabei eine Funktion u. a. der Spannungen, des E‑Moduls und der Poissonzahl.

Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall:

Wird ein Bohrloch in einen belasteten Gebirgsbereich gebohrt und wird dieser Gebirgs­bereich anschließend entlastet, so wird der Bohrlochquerschnitt seine Form ebenfalls, allerdings nun in umgekehrter Richtung ändern. Eine vollständige Entlastung der Bohr­lochumgebung kann auf einfachste Weise durch koaxiales Überbohren des Messbohr­lochs mit einer Kernbohrkrone erreicht werden. Es ist dabei darauf zu achten, dass der überbohrte Hohlkern keine messbaren Zerrüttungs- oder Auflockerungserscheinungen des Gesteinsgefüges und damit inelastische Volumenänderungen erfährt.


Abb. 1     Prinzip der Bohrlochmantel-Entlastungsmethode

 

Um den dreidimensionalen Spannungszustand im Gebirge nach dem Verfahren der Mantel-Entlastung zu messen, wurden seit 1972 an mehreren Forschungsinstituten Messzellen entwickelt, von denen wir eine, die "Hollow Inclusion Stress Cell" der Com­monwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO), in unserem Mess­programm anbieten. Diese Triaxialzelle (Austr. Patent Nr. 496712) wird von der Firma Environmental Systems & Services Pty Ltd, Victoria, Australia, in Lizenz produziert und in der Bundesrepublik von uns eingesetzt.

 

Die HI-Zelle besteht aus einem Kunststoffrohr, in dem neun Dehnungsmessstreifen ein­gebettet sind (s. Abb. 2). Diese Zelle wird in einem EX-Bohrloch ( 39 mm, Länge etwa 600 bis 700 mm) in Kunststoffinjektionsgut eingebettet und nach dem Aushärten mit einer Überbohrkrone ( 146 mm) freigebohrt, wobei vor, während und nach dem Bohr­vorgang kontinuierlich die Bohrlochdurchmesseränderung gemessen wird.


Abb. 2      Triaxialzelle HI zur Messung der Primärspannungen nach der Mantel-Entlastungsmethode

 

In der HI-Zelle sind die drei 45 °/90 ° Dehnungsmessrosetten genau unter 120 ° zuein­ander angeordnet, so dass drei Streifen in Ringrichtung, zwei in Axialrichtung und vier unter ± 45 ° zur Bohrlochachse zu liegen kommen (s. Abb. 3). Jeder Messstreifen ist 10 mm lang, um groß im Vergleich zur Körnung des Gesteins zu sein. Durch Anordnung und Größe ist gewährleistet, dass eine realistische Messung des kompletten Span­nungstensors möglich ist.

 


Abb. 3        Anordnung der Dehnungsmessrosetten in der HI-Zelle

 

Um die HI-Zelle mit der Bohrlochwand zu verkleben, wird die Zelle mit einem 2-Kompo­nenten-Kleber gefüllt und dieser durch Bohrungen mit Hilfe eines zylinderförmigen Stö­ßels ausgepresst, so dass der Hohlraum zwischen Messzelle und Bohrlochwand gänz­lich verfüllt ist. Die Wanddicke der Füllung beträgt im Normalfall 1,5 mm, sie wird aber am besten durch Aufsägen des überbohrten Kernes nachvermessen, weil dieser Wert in die Spannungstensorberechnung eingeht. Der Stößel kann entweder durch Ver­schieben der Messzelle gegen das Bohrlochtiefste oder durch einen Zugdraht betätigt werden.

Die Anwendung des Messverfahrens beschränkt sich momentan auf Bohrlochtiefen bis 150 m. Größere Einsatztiefen sind zwar grundsätzlich möglich, wir halten sie jedoch nicht für empfehlenswert, da der Einbau nur sehr schwer möglich ist und der Quer­schnitt der Messleitungen ebenfalls Grenzen bei der Übertragung der Messwerte setzt.

Durch den Einsatz eines Bohrlochcomputers, der unmittelbar über der Messzelle befes­tigt wird, ist es in jüngster Zeit gelungen, das Übertragungsproblem zu lösen, die Topf­zeit des Kunststoffklebers stellt jedoch immer noch eine Grenze für die Einbautiefe dar. Der Bohrlochcomputer ermöglicht darüber hinaus auf einfache Weise eine kontinuierli­che Messung der Dehnungen während des Überbohrens. Bisher waren kontinuierliche Messungen nur über Kabel und bei Verwendung einer Spindelbohrmaschine mit Ein­fachkernrohr möglich. Die Einsatztiefe bei dieser Methode war auf ca. 30 m beschränkt und bedurfte eines erheblichen Mehraufwandes von Seiten des Bohrunternehmers, so dass aus bohrtechnischen Gründen meistens nur eine Entspannungsmessung nach dem Bergen des Kerns durchgeführt wurde. Der Bohrlochcomputer erlaubt jetzt konti­nuierliche Messungen während des Überbohrens bis zur Maximalteufe von 150 m, wo­bei mit Doppelkernrohr und modernen Standardbohrausrüstungen ohne Behinderung des Bohrbetriebs gearbeitet werden kann. Abb. 4 zeigt ein Messbeispiel des Deh­nungsverlaufs in Abhängigkeit vom Bohrfortschritt.

 


Abb. 4     Signalverlauf während des Überbohrens

 

Ein Einsatz der Triaxialzelle unter Wasser ist möglich, da das verwendete Kunststoffin­jektionsgut auch bei Gegenwart von Wasser aushärten kann. Zufriedenstellende Er­gebnisse können nur dann erzielt werden, wenn der Kluftabstand an der Messstelle größer als 250 mm ist und davon ausgegangen werden kann, dass die Messzelle in­nerhalb eines größeren Kluftkörpers liegt.

Für die Berechnung des Primärspannungszustandes ist die Kenntnis der elastischen Parameter des Gesteins erforderlich. Diese werden sinnvollerweise direkt am über­bohrten Kern durch einen Biaxialversuch bestimmt. Hierzu wird der überbohrte Kern mit der eingeklebten Triaxialzelle in der Biaxialkammer radial mit Druck beaufschlagt und die dabei auftretenden Verformungen gemessen. Der Druck wird mittels einer Hydrau­likpumpe auf den neoprenummantelten Bohrkern aufgebracht. Die Protokollierung der gemessenen Dehnungen erfolgt in Laststufen von 0,25 ‑ 0,5 MPa. Aus dem Verlauf der Arbeitslinien kann außerdem auf die Qualität der Einklebung der Triaxialzelle geschlos­sen werden.

Zur Berechnung des vollständigen Spannungstensors aus den Messergebnissen der CSIRO-Zelle ist die Kenntnis folgender Eingangsparameter erforderlich:

  • Verformungsbeträge der Zelle infolge der Gesteinsentlastung,
  • räumliche Orientierung der Messzelle,
  • elastische Gesteinseigenschaften.

Da die Dehnungsmessstreifen der CSIRO-Zelle von der Wandung des EX-Bohrlochs durch einen ca. 1,5 mm breiten Araldit-gefüllten Spalt getrennt sind, unterscheiden sich die in Ringrichtung sowie in 45 °- bzw. 135 °-Richtung gemessenen Dehnungen von den tatsächlichen Werten. Worotnicki u. Walton (1976) haben daher vier Korrektur­faktoren ermittelt, mit deren Hilfe sich die an der Bohrlochwandung aufgetretenen Ver­formungen aus den gemessenen Werten berechnen lassen. Diese Korrekturfaktoren finden im Auswerteprogramm Berücksichtigung. Geeignete Formeln zur Berechnung des Spannungszustands aufgrund der gemessenen Verformungen der Bohrlochwan­dung infolge Überbohrens wurden von Leemann (1971) veröffentlicht. Zur Bestimmung des vollständigen Spannungstensors sind allgemein sechs voneinander unabhängige Dehnungsmessungen erforderlich. Die CSIRO-Zelle liefert jedoch neun Dehnungswerte in acht verschiedenen Richtungen. Diese Redundanz der Messwerte ermöglicht eine Auswahl der Ergebnisse mit Hilfe einer Regressionsrechnung nach dem Prinzip der

kleinsten Quadrate. Im ersten Schritt wird somit der aus dem Gesamtbild herausra­gendste Dehnungsmesswert ermittelt und eliminiert. Mit den verbleibenden acht Mess­werten kann dann ein weiterer Iterationsschritt vorgenommen werden. Maximal drei Ite­rationen sind möglich, da mindestens sechs Dehnungsmesswerte gewertet werden müssen. Darüber hinaus lässt sich die Qualität eines Datensatzes anhand der statisti­schen Kennwerte beurteilen, welche vom Rechenprogramm ermittelt werden.

Man sollte jedoch bedenken, dass die Multiple-Regressionsrechnung gewisse Annah­men - die Daten betreffend - beinhaltet und eine streng nach statistischen Gesichts­punkten optimierte Lösung liefert. Eine endgültige Beurteilung der Relevanz einzelner Messwerte sollte daher weiterhin aufgrund von Erfahrungswerten vorgenommen wer­den. Von Bedeutung dabei sind außer den statistischen Kennwerten auch Einflüsse, die aus den individuellen Bedingungen während der Versuchsdurchführung resultieren.

Der Spannungszustand im Gebirge wird mit Hilfe des Programms STRESS91 berech­net. Das von Miller (1983) in Australien entwickelte Rechenprogramm verwendet das oben beschriebene Iterationsverfahren; während jedes Iterationsschrittes wird der Deh­nungswert mit der größten Abweichung zur Kleinsten-Quadrate-Lösung eliminiert. Ebenso können jedoch auch einzelne Messwerte vom Bearbeiter aussortiert werden, wenn sie aus irgendeinem Grund unbrauchbar erscheinen.

Als Eingabedaten erwartet das Programm:

  • Allgemeine Informationen zur Kennzeichnung des Versuchs,
  • Orientierung der Bohrung,
  • E-Modul und Poissonzahl des Gesteins,
  • Dehnungswerte und Raumstellung der Dehnungsmessstreifen.

Der Programmoutput (s. nachfolgendes Auswertebeispiel) besteht aus:

  • den drei Hauptspannungsrichtungen und -beträgen,
  • drei Normal- und drei Scherkomponenten relativ zum Bezugssystem und
  • den kennzeichnenden statistischen Werten zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Messergebnisse.

 

 

Die komplette Beschreibung zu der CSIRO Triaxialzelle finden Sie auch hier als pdf.